No Vacancy
16.09.-06.11.2016

Selten ist einem das „Reich der Zeichen“ (Barthes) so bewusst wie in einer neuen Umgebung. Es dauert mitunter Tage oder Wochen bis man Hinweise, Schilder, Auffälligkeiten und Ungewöhnliches der Gegend so weit erschlossen hat, dass die eigentlichen, hinter den Zeichen stehenden Funktionen der Gebäude und Einrichtungen in den Vordergrund treten können. Die fantastische Ökonomie der Routine erlaubt es wieder, sich verstärkt auf etwas anderes zu konzentrieren und beendet damit den Moment, in dem das Umfeld die ganze Aufmerksamkeit der Sinne einfordert und sich Wahrnehmungen einprägen, die später vielleicht kaum mehr verändert werden können.

Wochenlang führte mich mein Weg an dem leerstehenden Hotel vorbei, das ich zwar bemerkte, ohne mir jedoch die Zeit zu nehmen es richtig anzusehen. Erst kurz vor meiner Abreise beeilte ich mich es zu photographieren, als ich erkannte, dass nicht nur alle Zugangsmöglichkeiten versiegelt, sondern auch alle Hinweis (genauso wie jedes neue Plakat oder Graffiti), die Aufschluss über eine konkrete Geschichte oder Funktion hätte geben können regelmäßig übermalt und gelöscht worden waren. Das Haus war nicht über seine lesbaren Zeichen zu verstehen, sondern im ganzen als Malerei zu lesen - als sein eigenes Abbild. Wenige Monate später, noch bevor es abgerissen wurde, hatte ein Künstler es vollständig weißt übertüncht (inklusive der auf dem Grundstück wachsenden Palmen) und das Bild, zu dem es geworden war wieder vollständig übermalt.

 

One rarely experiences “the empire of signs” (Barthes) as consciously as in a new environment. It takes sometimes days or weeks of absorbing references, signs, anomalies, or unusual things in one’s surroundings to open them up to a degree that the actual functions of buildings and institutions can come into the foreground. From that point on, the fantastic economy of routine allows one again to concentrate on something else and thus ends the moment, in which orientation demands the full attention of all senses, where perceptions become fixed to a degree that they may probably never change again.
 
Over many weeks, I passed by this empty hotel repeatedly, noticing it without really taking the time to look at it. Shortly before I left the city, I hastened back to the spot to photograph it, as I realized that not only all of its entry points were barricaded, but signage (including reappearing graffiti or posters) that might provide clues to its specific story or function had been repeatedly painted over and erased. The house was not to be understood by its readable signs, but as a whole was readable as painting, as its own portrait.
 
A few month later, just before the building was torn down, an artist painted the entire structure—even the palm trees on the lot—in stark white, thus reiterating its function as a blank canvas.

 

BENEDIKT TERWIEL
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